Viele kleine Geschäfte schlossen in der Corona-Pandemie für immer ihre Türen, weil die Kundschaft ausblieb und sie nicht auf Online-Handel ausweichen konnten. Einige haben aus der Not eine Tugend gemacht und die Krise als Chance gesehen. Zu ihnen gehört der alteingesessene Musikladen „Music Corner“.
Hannover/Linden. Über der Tür am Bethlehemplatz hängt noch das alte Firmenschild des Klavierhauses Stampe & Schendzielorz, in dem der heutige Eigentümer Peter Ringewald beruflich groß wurde – daneben über dem großen Schaufenster prangt das ovale in Gelb und Rot gehaltene Schild von ‚Music Corner‘. Beim Eintritt in den Laden ist sofort klar: Hier geht es neben Schlagzeugen, Musikerzubehör und E-Pianos vor allem um Gitarren. In dem schmalen langen Raum bleibt der Blick an vielen Details hängen, die für Musikmachende spannend sind; vom Kabel bis zum Mikro, von Gitarrensaiten bis zu den großen Verstärkern verschiedener Marken, die die gegenüberliegende Wand ausfüllen. Davor steht ein Tisch, an dem Ingolf Heise Akustik-Gitarren bearbeitet. Der 52-Jährige ist seit über fünf Jahren als Spezialist für Gitarren in dem Kult-Musikerladen beschäftigt. ‚Music Corner‘ wurde 1979 von dem Gitarristen Detlef Klamann gegründet, der unter anderem bei der Krautrock-Band „Jane“ mitspielte. Der Laden zog nach mehreren Wechseln an seinen jetzigen Standort im Stadtteil Linden, wo ihn Peter Ringewald 2011 übernahm. Im hinteren Teil der verwinkelten Räumlichkeiten geht neben den Verstärkern eine kleine Treppe hoch – hier, wo über viele Jahre Klaviere auf Käufer warteten, befindet sich die Gitarren-Galerie.
Stammpublikum aus mehreren Jahrzehnten
„Wir hatten anfangs noch einige Klaviere, aber haben uns mehr und mehr auf Gitarren spezialisiert. Anfangs waren der Höchstpreis 300 Euro, heute sind das schon eher unsere preiswertesten Angebote“, erinnert sich Ingolf Heise. „Und wir haben ein großes Stammpublikum. Es passiert häufiger, dass sich hier Musiker treffen, die vor fünfzehn Jahren mal zusammen Musik gemacht haben und sich hier zufällig wiedersehen“, ergänzt Kathrin Schwekendiek. Die 23-Jährige ist die jüngste Mitarbeiterin. Sie hat bei ‚Music Corner‘ in diesem Jahr ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau im Musikalienhandel beendet. „Das hier ist eine Art Familie“, beschreibt sie die entspannte Atmosphäre untereinander und meint damit neben Peter Ringewald und Ingolf Heise auch Gerd Konerding, der mit 62 Jahren das Urgestein des Ladens ist. „Ich bin seit 42 Jahren bei Music Corner“, erzählt er mit Stolz in der Stimme. Gerd, genannt Gerdi, repariert fast alles. „Außer Blasinstrumente“, schränkt er ein. In seiner kleinen Werkstatt im oberen Bereich des Ladens hat er sich so eingerichtet, dass er mit einer leichten Drehung an alle Werkzeuge herankommt. „Ich höre erst auf, wenn ich tot bin“, ist er sich sicher. „Andere geben Geld für ihr Hobby aus, ich verdiene mit meinem Geld, das ist doch klasse!“ Auch Kathrin Schwekendiek ist anzumerken, wie viel Spaß ihr die Arbeit macht. „Um vernünftig beraten zu können, muss man wissen, worüber man spricht. Deshalb habe ich selbst Gitarre gelernt“, erzählt die junge Frau. „Ich sitze manchmal stundenlang mit einem Kunden zusammen und berate ihn, das ist für mich selbstverständlich. Und es kommt auch vor, dass der Kunde am nächsten Tag wiederkommt und sich erst am übernächsten für seine Lieblingsgitarre entscheidet. Das ist ok, denn es bringt ja niemandem etwas, wenn er schnell eine kauft und sie dann zwei Wochen später zurückbringt, weil sie ihm doch nicht zusagt“, ist sie der Überzeugung. Diese intensive Kundenbetreuung war in den vergangenen zwei Jahren kaum möglich - wie viele andere kleine Geschäfte litt auch Music Corner unter den Einschränkungen der Pandemie. „Viele Läden haben dicht gemacht; wir haben die Chance genutzt, sind kreativ geworden und haben uns gesagt, dann machen wir einen Kiosk-Verkauf und konzentrieren uns auf unseren Online-Shop“, berichtet Ingolf Heise. „Vor allem haben wir viel über Ebay-Kleinanzeigen verkauft, wozu wir vorher nie wirklich die Zeit hatten. Und die Kunden kamen weiterhin, viele von ihnen, um ihre Instrumente reparieren zu lassen.“ Für den Kiosk-Verkauf baute das Team eine Plexiglasscheibe mit einer Öffnung vor die Eingangstür, darunter einen Vorhang – ähnlich wie bei einem Kasperle-Theater. Dort wurden dann die Instrumente entgegengenommen, Saiten verkauft oder auch mal eine Gitarre herausgereicht, damit sie getestet werden konnte. „Das war zwar eigentlich nicht so geplant, aber kam gut an. Wir stellten einen Hocker raus und die Kunden probierten die Gitarre vor dem Laden aus“, erinnert sich Kathrin Schwekendiek. „Es gab viele Kunden, die gesagt haben: ‚Woanders ist es vielleicht billiger, aber wir wollen euch unterstützen, deshalb kaufen wir gerade jetzt bei euch.‘ Und die vor allem den Service zu schätzen wissen, das persönliche Gespräch und die Zeit, die sich alle nehmen, die hier arbeiten“, ist sie überzeugt. „Das Besondere an ‚Music Corner‘ ist, dass er durch seine Größe viel persönlicher ist“, ergänzt Chef Peter Ringewald. Sein Team blickt optimistisch in die Zukunft und hat dabei auch junge Kundinnen und Kunden im Blick, die den Laden eher über die sozialen Medien wie Facebook und Instagram entdecken. Neben den online-Angeboten und dem Ladenverkauf bietet das Geschäft auch Gitarren, Bass- und Schlagzeug-Unterricht an und gewinnt dadurch neue Kundschaft. Mit zum Erfolg des kleinen Musikaliengeschäfts trägt sicherlich das positive Feedback vieler namhaften Bands bei, die sich im Laufe der über vierzig Jahre immer wieder bei Music Corner mit Instrumenten, Zubehör und guten Tipps eindeckten. Darunter so unterschiedliche Musiker und Bands wie die Rolling Stones, Stevie Wonder, Chris de Burgh, Die Prinzen, Marius Müller Westernhagen oder Udo Lindenberg. Peter Ringewald erinnert sich: „Als die Scorpions hier in den Peppermint Park Studios ihr neues Album „Rock Believer“ einspielten, bekam ich spät an einem Samstagabend einen Anruf, es würden auf Nummer sicher ein paar Schlagzeug-Felle gebraucht werden. Wer stand da wohl am Sonntag auf der Matte?“
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